Wenn wir uns einzig und allein mit unserem physischen Körper oder unserer Persönlichkeit identifizieren, dann sind wir verraten und verkauft.
Unser Körper wird zu großen Teilen von unserer genetischen Veranlagung bestimmt, im Laufe der Jahre wird er immer älter und gebrechlicher, bis eines Tages unser Lebensprozess komplett zum Erliegen kommt und wir sterben. Unsere Persönlichkeit wird entscheidend durch unsere Bezugspersonen, vor allem durch frühe, und unsere Lebensumstände bestimmt, die wir uns häufig nicht aussuchen können und auf die wir oft nur einen geringen Einfluss haben.
Diese Aussagen sind Konsens vieler spiritueller Richtungen und auch ich würde bis zu diesem Punkt weitgehend zustimmen. Wer sind wir dann aber eigentlich?
Aus Sicht besagter spiritueller Richtungen, etwa aus Sicht von Eckhart Tolle, sind wir das wahrnehmende Bewusstsein, in dem sich alle Bewusstseinsinhalte befinden, wie beispielsweise Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle, innere Bilder etc. Wir sind die Präsenz, die alles, was in uns vorgeht, wahrnehmen kann.
Woher aber kommt unsere Präsenz? Und hier gehen die Ansichten auseinander. Ist sie der göttliche Funke in uns oder das sich selbst wahrnehmende Universum? Eigentlich spielt die Antwort keine Rolle, denn das, was mit Präsenz gemeint ist, existiert ganz eindeutig, auch wenn man keine Antwort auf diese Frage hat.
Ich möchte aber trotzdem eine Antwort geben, meine persönliche Antwort, die sich aus meiner Arbeit mit vielen, vielen Menschen und auch meiner Auseinandersetzung mit mir selbst entwickelt hat: Präsenz ist ein körperlicher Prozess. Sie wird im und durch den Körper generiert und lebt im Körper. Deshalb können wir es auch auf körperlicher Ebene spüren, wenn wir in Präsenz sind. Präsenz hat eine körperlich erlebbare Qualität, manchmal als gefühlte alles durchdringende Stille oder als ein Erleben des reinen Seins. Das ist der Grund, warum wir in Präsenz kommen können, wenn wir beispielsweise unserem Atem folgen oder in unseren Körper hinein spüren.
Präsenz kann auch verloren gehen, etwa wenn wir einen Schlag auf den Kopf bekommen oder aus irgendeinem anderen Grund das Bewusstsein verlieren. Der häufigste Grund, warum wir unsere Präsenz verlieren, ist aber, dass wir schlicht und einfach den Kontakt zu unserem Körper verlieren und außerhalb unseres Körpers leben. Der Weg zurück führt dann wieder über und durch den Körper, zum Bespiel durch unseren Atem.
Zwar findet man in den gängigen spirituellen Richtungen irgendwo den Hinweis, dass es eine gute Idee ist, den Körper mit einzubeziehen. Das wird dann aber meistens nur sehr halbherzig umgesetzt.
Im Focusing ist der Körper unser Hauptbezugspunkt und der Ort, an den und in den wir gehen und nachspüren. Denn wenn wir aus unserer Präsenz heraus in Beziehung treten zu unserem körperlich wahrnehmbaren Erleben, kommt es zu echter Heilung der Aspekte unserer selbst, die sich aufgrund widriger Umstände nicht entwickeln konnten. Dieser Heilungsprozess ist messbar und daher steht Focusing auf einem wissenschaftlich sehr soliden Fundament.
Und das ist genau das, was Focusing von besagten spirituellen Richtungen unterscheidet. Dort ist Präsenz meistens ein neutraler Beobachter, der wer-weiß-wo herkommt und lediglich wahrnimmt, aber eben nicht in Kontakt geht. So lässt sich erklären, warum diese Wege zwar zu Befreiung, nicht aber zu Heilung führen, was Anhänger dieser Richtungen sicherlich bestätigen werden, wenn sie ehrlich sind.
Aus meiner Sicht als Focusing-Trainer sind wir das vom Körper generierte Bewusstsein, die im Körper lebende Präsenz, die zu allem, was in uns vor geht, in BEZIEHUNG treten kann. Und dieser Weg führt zu Befreiung UND zu Heilung.
Wenn Ihnen all das zu abgehoben und zu spirituell erscheint, dann schieben Sie es einfach beiseite. Focusing ist ein ganz konkret erlernbarer Prozess, der auch funktioniert, wenn man sich nicht mit solchen Fragen beschäftigt.
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