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Woher kommt Focusing?
Eugene Gendlins Focusing
Focusing wurde von Eugene Gendlin entdeckt, einem Mitarbeiter von Carl Rogers und sein späterer Nachfolger an der Universität von Chicago. Gendlin war Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts maßgeblich an der Psychotherapieforschung und der Theoriebildung beteiligt, die letztlich zur Entwicklung von Rogers‘ personenzentriertem Konzept führten, auf welchem die sogenannte Gesprächspsychotherapie beruht.
Gendlins besonderes Interesse galt der Frage, warum einige Psychotherapieklienten stärker von der psychotherapeutischen Beziehung profitierten als andere. Dabei fand er heraus, dass diejenigen Klienten, die erfolgreich waren und bei denen sich Persönlichkeitswandel zeigte, während der Therapiesitzungen auf eine ganz bestimmte Art und Weise in ihren Körper hineinhorchten und sich mit einem vagen, unklaren, körperlich gefühlten Erleben beschäftigten. Dieses vage, unklare, körperlich gefühlte Erleben nannte Gendlin „Felt Sense“, etwa übersetzbar mit „gefühlter Sinn“ oder „gefühlte Bedeutung“. Für einen Zuhörer klang das etwa wie folgt:
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"Irgendwie geht es mir heute nicht so gut… Ich weiß auch nicht… Irgendwie fühle ich mich so komisch, irgendwie so… Na, wie heißt das… Ich fühle so eine innere Spannung… Nein, eher so ein Reißen… So, als wenn es mich innerlich zerreißen würde… So, als wenn ich in zwei Richtungen gerissen würde… Vielleicht hat das was damit zu tun, ob ich den neuen Job annehmen soll… Ich fühle mich so hin und her gerissen… Vielleicht ist es einfach noch zu früh, um die Entscheidung zu treffen… Ich glaube, ich warte noch ein bisschen…"
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Klienten, die auf diese Weise in ihren Körper hineinspürten, schienen in der Lage zu sein, etwas noch Unklares in sich wahrzunehmen und damit in einen aktiven Kontakt und Dialog zu treten. Sie schienen nach passenden Worten zu suchen und machten immer wieder Pausen, um nachzuspüren, was genau sie fühlten. Wenn sie ein wenig bei diesem vagen Gefühl verweilten und sich damit beschäftigten („Irgendwie geht es mir heute nicht so gut“), trat es deutlicher ins Bewusstsein und wurde schärfer („Ich fühle mich so hin und her gerissen“), ähnlich wie der Blick durch ein Teleobjektiv, mit dem man auf einen Gegenstand fokussiert, um ein scharfes Foto davon machen zu können. Daher taufte Gendlin diesen Prozess auf den Namen „Focusing“. Für die Therapieklienten, die sich auf diese Weise mit ihrem inneren Erleben beschäftigten, brachte das Einsichten und Erkenntnisse („Vielleicht ist es einfach noch zu früh, um die Entscheidung zu treffen…“), die zu messbarer körperlicher Erleichterung und Entspannung führten. Sie waren in der Lage, genau zu sagen, was in ihnen vorging, und dieses Erleben in der Therapie zu verarbeiten. Offensichtlich hatten sie einen inneren Orientierungspunkt, ein Gefühl für sich selbst, an das sie sich halten konnten. (Tatsächlich war es sogar möglich, anhand der Beobachtung, ob Klienten sich auf ihr körperliches Erleben bezogen oder nicht, den Therapieerfolg vorherzusagen.)
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Gendlin entdeckte also, dass es eine körperliche Wahrnehmung gab, die als Instrument genutzt werden konnte, um der Welt gegenüber zu treten. Diese Wahrnehmung war immer auffindbar. Sie konnte verschüttet werden, nicht aber völlig verloren gehen. Da sich zeigte, dass viele Menschen ganz automatisch "fokussierten", macht es Sinn, von der „Entdeckung“ von Focusing zu sprechen, vielleicht sogar von der „Wiederentdeckung“, und nicht von der „Entwicklung“.
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Doch was war mit den Klienten, die nicht schon von alleine auf diese Weise in ihren Körper spürten, sondern immer und immer weiter redeten, „vom Kopf her“, ohne eine Verbindung herzustellen zu dem, was auf körperlicher Ebene in ihnen vorging? Wie konnten diese dazu gebracht werden, ihr inneres körperliches Wissen „anzuzapfen“? Für diese Menschen entwickelte Gendlin die sogenannten „sechs Focusing-Schritte“. Diese Schritte waren der Versuch, das, was die erfolgreichen Psychotherapieklienten automatisch taten, lehrbar zu machen. Sie stellten also eine Lehrmethode dar, wie man mit diesem körperlichen Wissen in Kontakt treten konnte. Leider wurde die Lehrmethode häufig mit dem verwechselt, was gelernt werden sollte, und es wurde behauptet, Focusing bestehe aus sechs Schritten, was zu vielfältigen Missverständnissen führte. Focusing besteht darin, ein vages, unklares, körperlich gespürtes Erleben aufzusuchen, dabei zu verweilen, eine Beziehung dazu aufzubauen und dem darin enthaltenen körperlichen Wissen zu lauschen. Wenn das gelingt, öffnet es sich, entfaltet sich, entwickelt sich weiter, macht Schritte, enthüllt Bedeutungen und Informationen, wie wir mit bestimmten Lebenssituationen auf eine Art und Weise umgehen können, die für uns richtig ist.
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Focusing ist heute weltweit verbreitet. Für viele Psychotherapeuten ist es zu einem wichtigen Instrumentarium geworden, um Wachstum und Heilung zu fördern. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Psychotherapie erst durch ein Beziehungsangebot des Therapeuten möglich wird, das charakterisiert ist durch die von Rogers entdeckten Bedingungen für Persönlichkeitswandel: Echtheit des Therapeuten, bedingungslose positive Zuwendung und empathisches Verstehen. Werden dem Klienten diese Bedingungen geboten, kann er sein Erleben erforschen und in sein Selbstkonzept integrieren. Es wird ihm möglich, „Kongruenz zwischen Selbst und Erfahrung“ herzustellen. Dabei kann Focusing zu einer bedeutenden Verbesserung des therapeutischen Erfolges führen.
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Aber auch außerhalb der Psychotherapie hat Focusing seinen Platz gefunden. Vielen Menschen, die auf der Suche nach persönlichem Wachstum und persönlicher Entfaltung sind, leistet es wertvolle Dienste, etwa im Rahmen einer professionellen Focusing-Begleitung, im Rahmen von partnerschaftlichem Focusing oder auch durch Focusing allein. Bei der Auswertung wissenschaftlicher Studien kommt Leijssen daher zu dem Ergebnis:
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"Die innere Quelle, die über den Körper zugänglich werden kann, gibt diesen Klienten in ausreichendem Maße Richtung und Anhaltspunkte, um spezifische Probleme lösen zu können. Durch diesen Kontakt mit dem körperlichen Felt Sense kann es sein, dass manchen Klienten im Focusing-Prozess sogar etwas sehr Bedeutungsvolles offenbart wird." (Leijssen: 234)
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Beschäftigt sich Rogers mit der äußeren Beziehung zwischen Therapeut und Klient, durch die persönliches Wachstum gefördert wird, so lenkt Focusing das Augenmerk auf die innere Beziehung, auf die Beziehung des Fokussierenden zu seinem Felt Sense. Rogers schreibt:
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"Erfahrung ist für mich die höchste Autorität. Der Prüfstein für Gültigkeit ist meine eigene Erfahrung. Keine Idee eines anderen und keine meiner eigenen Ideen ist so maßgeblich wie meine Erfahrung. Ich muß immer wieder zur Erfahrung zurückkehren, um der Wahrheit, wie sie sich in mir als Prozeß des Werdens darstellt, ein Stück näher zu kommen. Weder die Bibel noch die Propheten, weder Freud noch die Forschung, weder die Offenbarungen Gottes noch des Menschen können Vorrang vor meiner direkten Erfahrung haben." (Rogers: 39)
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Doch wie macht man das eigentlich, „immer wieder zur Erfahrung zurückkehren“? Die Antwort auf diese Frage bleibt Rogers schuldig. Und genau hier setzt Eugene Gendlin Focusing ein.
Literatur:
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Leijssen, Mia: „Die Stärken und Grenzen von Focusing: einige Forschungsergebnisse“. In: Heinz-Joachim Feuerstein, Dieter Müller, Ann Weiser Cornell (Hrsg.): Focusing im Prozess – Ein Lesebuch. GwG-Verlag + FZK-Verlag, Köln 2000, S.217-236.
Rogers, Carl R.: Die Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten (1961). Klett-Cotta, Stuttgart 1994.
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