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  • Writer's pictureArno Katz

In Emotionen hineinsinken oder in Beziehung zu ihnen treten?


Bei der Online-Konferenz, über die ich letzte Woche geschrieben habe, durfte ich erneut erleben, dass es Methoden gibt, die ihren Anhängern empfehlen, sich in Gefühle hineinsinken zu lassen, in sie einzutauchen, damit sich die Energie, aus denen sich die Gefühle speisen, verbaucht und die Gefühle somit verebben.



Tatsächlich funktioniert das manchmal. Ich habe das selbst erlebt, vor allem bei Gefühlen von Trauer und Wut. Vermutlich war es genau das, was nötig war - die Gefühle ganz zu erleben und auszuleben. Danach habe ich mich deutlich besser gefühlt.



Das Problem ist, dass diese Methode nicht immer funktioniert und bei manchen Menschen gar nicht. Viele Leute wissen überhaupt nicht, wie sie dabei vorgehen sollen, und andere, die das irgendwie hinbekommen, berichten, dass die Gefühle zwar vorerst verschwinden, dann aber irgendwann wiederkommen.



Diesen Menschen wird dann von Anhängern der Methode suggeriert, dass sie etwas falsch machen oder sich noch nicht genug angestrengt haben. Ergebnis: Diese Menschen fühlen sich dann noch schlechter, denn sie sind ja "gescheitert". Wie kann es nur sein, dass das Hineinsinken in Gefühle bei anderen so toll funktioniert, nur bei mir nicht? Vielleicht bin ich ja ein hoffnungslosen Fall?



Dem möchte ich entschieden entgegentreten: Nein! Der Fehler liegt nicht bei der Person, die in ein Gefühl hineinsinken möchte, um zu "erwachen" und sich besser zu fühlen. Der Fehler liegt in der Annahme, dass das Hineinsinken der einzige Weg sei, mit Gefühlen umzugehen.



Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass viele Leute überhaupt keine Gefühle wahrnehmen, wenn sie in sich hineinspüren, sondern Körperempfindungen, oder es kommen Gedanken oder innere Bilder. Wie soll man sich in ein Gefühl hineinsinken lassen, wenn da gar keins ist? 



Im Focusing treten wir mit allem, was wir in uns wahrnehmen, IN BEZIEHUNG - mit Gefühlen, inneren Bildern, Gedanken und Körperempfindungen - und spüren nach, wie sich all das ZUSAMMEN auf körperlicher Ebene anfühlt. Wenn ein Gefühl kommt, lassen wir uns nicht hineinsinken, sondern treten dazu IN KONTAKT. Das könnte etwas so klingen:



"Ich spüre etwas in mir, das brennt und sticht. Ich spüre das in der Herzgegend. Es ist bleischwer. Ich spüre nach, ob eine Emotion darin steckt... Es ist... hoffnungslos... müde... ausgepowert... kann nicht mehr. Ich begrüße es, indem ich ihm sage: 'Hallo, ich sehen, du bist da!' Ich lasse es wissen, dass ich es höre: 'Ich höre, wie hoffnungslos, müde und ausgepowert du bist, und dass du nicht mehr kannst!'"



Danach geht der Prozess natürlich noch weiter, aber das könnte der erste Schritt zu einer neuen inneren Beziehung sein. Für viele Menschen führt diese Vorgehensweise zu einer spürbaren Erleichterung. Experimentieren Sie einfach selbst einmal damit. 



Tatsächlich gibt es solide Forschungsergebnisse, die zeigen, dass eine KONTAKTAUFNAHME und eine innere BEZIEHUNG zu unserem Erleben einen emotionalen Verarbeitungsprozess in Gang setzt. (Und um den geht es im Focusing, nicht um spirituelles Erwachen.)



Wie Gene Gendlin, der Begründer von Focusing, immer sagte: "Wenn du die Suppe riechen willst, darfst du die Nase nicht hineinstecken."


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