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Writer's pictureArno Katz

Freud vs. Focusing

Die Freudsche Psychoanalyse hat das Verständnis psychischer Prozesse geprägt. Freuds Ideen galten Anfang des 20. Jahrhunderts als revolutionär und sie waren wegweisend für den weiteren Verlauf der Theoriebildung zur Erklärung des menschlichen Seelenlebens.


Laut Freud können seelische Störungen durch das Zusammenspiel verschiedener psychischer Instanzen erklärt werden. Psychoanalytische Begriffe wie "Es", "Ich" und "Überich" gehören mittlerweile zum Wortschatz eines jeden Gebildeten. Wenn Menschen Focusing lernen, fragen sie sich daher häufig, wie sich Focusing und Psychoanalyse zueinander verhalten. Im Folgenden vergleiche ich die Freudsche Psychoanalyse mit Focusing. Mir ist bewusst, dass es moderne Formen der Psychoanalyse gibt, es ist jedoch die von Freud entwickelte Ur-Form, die den meisten Menschen geläufig ist. 


Zunächst einmal muss angemerkt werden, dass es nur einen Prozess gibt, der in Menschen abläuft und der zu seelischer Heilung führt. Unterschiedliche psychotherapeutische Theorien erklären und konzeptualisieren diesen Prozess unterschiedlich und leiten verschiedene Handlungsschritte aus ihren Konzepten ab. Alle versuchen jedoch, den Heilungsprozess zu fördern. Mit anderen Worten: Psychoanalyse und Focusing unterscheiden sich dadurch, dass sie innere Prozesse anders erklären und anders dabei vorgehen, diese in Gang zu bringen und zu unterstützen.


Das einzige theoretische Konstrukt, das beide Vorgehensweisen mehr oder weniger teilen, ist das sogenannte "Überich". Beide Theorien stimmen darin überein, dass es sich dabei um eine psychische Instanz handelt, die gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen internalisiert hat und nun auf andere Instanzen und Prozesse anwendet. In der Focusing-Gemeinschaft wird dieses Phänomen gewöhnlich als "Innerer Kritiker" bezeichnet; dieser Begriff hat sich jedoch als wenig hilfreich erwiesen, weil diese Instanz von ihrer Natur her nicht notwendigerweise kritisiert. Ihr Ziel ist es zu kontrollieren. Kritik ist nur eine Methode, mit der sie Kontrolle ausüben will. Eine andere Methode sind vermeintlich weise Ratschläge, z.B. "Sieh doch einmal die positive Seite des Problems".


Den größten Unterschied gibt es bei der Sicht dessen, was Freud "Es" nennt. Laut Freud verbergen sich im Es destruktive Triebe, die aus dem verborgenen heraus Unheil anrichten. Diese müssen bewusst werden, damit sie an Macht verlieren und beherrscht werden können, sie sind und bleiben aber von ihrer Natur her destruktiv.


Focusing hat eine völlig andere Sicht der menschlichen Natur. Wir reden von der "Weisheit des Körpers" und meinen damit ein implizites körperliches Wissen, das uns angeboren ist. Dieses Wissen ist implizit, mit Focusing kann es aber explizit werden und uns zeigen, was für uns der richtige Weg ist. Es ist also konstruktiv. Inhalte, die auf den ersten Blick pathologisch erscheinen, wie zum Beispiel der Wunsch, jemandem den Hals umzudrehen, werden durch einen Prozess geführt, der es ihnen ermöglich, ihre implizite Botschaft, den ihnen zugrundeliegenden Antrieb, zu enthüllen und am Ende des Prozesses hat sich der Inhalt völlig verwandelt - in etwas, das uns den Weg weist. Das ist etwas völlig anderes als die bloße Bewusstwerdung vermeintlich zuvor schon existierender Inhalte. Es handelt sich vielmehr um die Entfaltung eines in uns angelegten Wissens, das zuvor blockiert war.


Was ist nun mit dem, was Freud "Ich" nennt? Diese Instanz vermittelt, so Freud, zwischen den Forderungen des Es, des Überichs und den Ansprüchen der Außenwelt. Es ist also sozusagen eine Zwischeninstanz, die versucht, alles unter einen Hut zu bekommen, und wenn das misslingt, entwickelt die betroffene Person Symptome.


Im Focusing haben wir das, was Ann Weiser Cornell und Barbara McGavin "Ich-in-Präsenz" nennen. Dabei handelt es sich um einen Zustand, in dem es uns möglich ist, ALLES, was sich in unserem Bewusstsein zeigt, da sein zu lassen und uns ALLEM zuzuwenden und darauf zu fokussieren (siehe älterer Blog-Eintrag). Es ist also unser größeres Ich, mit dem wir uns allem, was in uns vorgeht, zuwenden können, seien es kritische oder kontrollierende Persönlichkeitsteile oder Forderungen unseres Körpers. Dieser innere Zustand ist Voraussetzung dafür, fokussieren zu können, und er kann durch Übung kultiviert werden.


Die Psychoanalyse ist eine ehrenwerte Methode, die vielen Menschen geholfen hat. Wir Focusing-Leute haben jedoch eine andere Auffassung von der menschlichen Natur und wir erklären und fördern innere Prozesse auf eine andere Art und Weise. Wenn Sie das einmal ausprobieren wollen, kontaktieren Sie mich.

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