Unsere Wahrnehmung der Welt suggeriert uns, dass die Welt aus "Dingen" besteht, aus einzelnen, unveränderlichen Entitäten, die voneinander getrennt sind. Auch andere Lebewesen und Menschen nehmen wir als feststehende, unveränderliche Einheiten wahr.
Diese Wahrnehmung hat ihre Wurzeln in unserem genetischen Erbe. Aus Sicht der Evolution ist es sinnvoll, wenn ich dort ein "Ding" wahrnehme, das "Tiger" heißt und mich vielleicht gleich angreift, wenn ich nicht aufpasse. Würde der Tiger in meiner Wahrnehmung mit seiner Umwelt verschmelzen, so dass ich ihn nicht als getrenntes Etwas sehe, das andere Qualitäten hat, als das Gebüsch hinter ihm, würden meine Überlebenschancen reduziert.
Es waren genau diejenigen unserer Vorfahren, die eine solche Wahrnehmung hatten, die ihre Gene an uns weitergegeben haben. Und da sind wir heute und trennen alles um uns herum in einzelne Dinge. Auf dieser Wahrnehmung gründen so ziemlich alle Kulturen, die durch ihre Prägung unsere Sicht verstärken, dass die Welt aus separaten Einzelteilen besteht.
Wenn ich mich umsehe, ist da ein Ding, das heißt "Schrank", ich sitze auf einem Ding mit dem Namen "Bett", tippe auf etwas, das "Laptop" genannt wird, und neben mir sitzt eine Entität, meine "Frau", und liest ein Ding namens "Buch".
Die Wahrheit ist, dass es sich bei all diesen "Dingen" nicht um unveränderliche Einheiten handelt, sondern um Prozesse, die sich ständig verändern, ohne dass das unserer Wahrnehmung zugänglich ist. In allem leben Mikroorganismen, die Veränderungen bewirken, alles ist Witterungsbedingungen ausgesetzt, alles ist mit allem irgendwie verbunden, alles durchdringt sich gegenseitig, und wirkt sich aufeinander aus. Der Tiger wirkt auf mich, ich auf den Tiger und beide stehen wir in Wechselwirkung mit unserer gemeinsamen Umwelt. Fängt es plötzlich an zu donnern, rennt der Tiger vielleicht weg.
Diese Prozesse verlaufen allerdings manchmal so langsam, dass wir sie nicht sehen. Wenn ich mir denselben Schrank in 2000 Jahren anschaue, hat er einen Prozess durchgemacht, dass ich ihn nicht wiedererkennen werde. Aber auch ich selbst werde in 2000 Jahren kaum wiederzuerkennen sein.
Alles befindet sich im Wandel, in Bewegung - die "Dinge" um uns herum, die Welt, das Universum. Wir und alles andere sind kleine Wirbel im Fluss des Seins, die entstehen, eine kurze Zeit gemeinsam den Strom abwärts fließen und dabei aufeinander einwirken, sich dann auflösen, nur um weiter flussabwärts in neuen Formationen wieder aufeinander zu treffen.
Focusing ist eine Prozess-Wissenschaft. Grundlage ist die Erkenntnis, dass alle lebendigen Organismen eine ihnen innenwohnende Tendenz haben, sich zu erhalten und entfalten, wenn entsprechende Umweltbedingungen vorliegen. Focusing beschreibt die Prozesse, die diese Tendenz, die natürlich auch ein Prozess ist, in Menschen wirksam werden lässt. Wie müssen wir mit unserem inneren Erleben und dem in anderen Menschen in Beziehung treten, damit wir uns selbst weiterentwickeln und auch die Entwicklung anderer Menschen unterstützen? Auf diese Frage liefert Focusing ganz konkrete Antworten und beschreibt ganz konkrete Schritte.
Comments