Viele Menschen glauben, dass sie eine "dunkle Seite" haben, dass es einen Bereich in ihrem Seelenleben gibt, dem man möglichst keinen Raum geben sollte und von dem man sich besser fernhält. Tatsächlich kann niemand die Destruktivität bestreiten, zu der Menschen fähig sind. Wenn man in den heutigen Tagen die Nachrichten schaut, wird man überflutet von all dem Horror, der in der Welt existiert.
Aus Focusing-Perspektive möchte ich dazu zwei Aussagen machen: 1.) Die Wahrnehmung, dass es eine dunkle Seite im Menschen gibt, ist da und braucht Aufmerksamkeit. 2.) Es gibt keine "dunkle Seite" der Seele, sondern nur eine unbeleuchtete, in der sich möglicherweise Aspekte eines Menschen befinden, die nicht genug Tageslicht bekommen haben, um sich zu entwickeln. Beide Aussagen erkläre ich im Folgenden.
Die Wahrnehmung einer dunklen Seite weist nicht darauf hin, dass es etwas von Natur aus "Schlechtes" im Menschen gibt, sondern darauf, dass es einen Teil in ihm gibt, einen Aspekt seiner Persönlichkeit, der Angst hat vor einem anderen Teil der Person und ihn als "dunkel" bezeichnet. Nur aus der Sicht dieses zweiten Teils handelt es sich um etwas Dunkles. Viele Menschen sind jedoch mit dem verängstigten Teil identifiziert und nehmen ihre innere Welt aus dessen Perspektive wahr. Sie müssen zunächst dabei unterstützt werden, aus der Identifikation herauszutreten, beispielsweise so:
"Sie spüren, dass etwas in Ihnen Angst hat vor etwas anderem in Ihnen und es als 'dunkel' bezeichnet. Vielleicht mögen Sie sich beiden zuwenden und beiden 'Hallo' sagen."
Gelingt es der Person, beiden Teilen gegenüberzutreten und beide in ihrer Aufmerksamkeit zu halten - gleichzeitig - kann sie in die Sorge des verängstigten Teils hineinspüren und erforschen, wovor sich dieser so fürchtet, was er nicht will. Sobald der verängstigte Teil den Weg frei gibt, kann sie sich dem Bereich bzw. dem Teil zuwenden, der als "dunkel" etikettiert wurde und das Scheinwerferlicht ihrer Aufmerksamkeit auf ihn richten. Möglicherweise ist dieser Teil/Bereich zunächst ziemlich hässlich. Sobald jedoch das Sonnenlicht und die Wärme unserer Aufmerksamkeit auf ihn fallen, kann er sich zu dem entwickeln, zu dem er eigentlich bestimmt ist. Und das ist mit Sicherheit etwas Wunderschönes.
Mit anderen Worten: Die Wahrnehmung, dass es eine dunkle Seite in uns gibt, stammt von einem Teil von uns, der Angst hat. Dieser verhindert, dass wir uns dem zuwenden, was als "dunkel" bezeichnet wird, und ihm Raum geben, so dass es sich entwickeln kann. Beide Teile/Bereiche - sowohl der, der sich fürchtet, als auch der, vor dem er sich fürchtet - brauchen unsere Aufmerksamkeit.
Je mehr Menschen dazu fähig und bereit sind, desto weniger Destruktivität gibt es in der Welt.
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